Hollywood BIM

BIM international

Über die Glorifizierung von BIM und dem Kampf disruptiver Geschäftsmodelle in der digitalen Bauwirtschaft

„Building Information Modeling“, „Industrie 4.0“, „Disruption“ und „Digitale Transformation“. Diese Schlagworte fehlen derzeit in keinem Medienbericht und keiner Veranstaltung über die Zukunftsfähigkeit der deutschen Bauwirtschaft. Der Wettbewerb ist heute global und digital. „Wer jetzt nicht digitalisiert, überlässt die Wertschöpfung anderen“, haben die gesagt! „Vorstände und Geschäftsführer müssen jetzt handeln, um nicht von der Konkurrenz oder gar jungen Start-ups abgehängt zu werden“, haben die gesagt! „Deutschland ist den anderen Ländern meilenweit hinterher“ und „mit BIM wäre das alles nie passiert“, haben die gesagt.

Entspricht das alles wirklich der Wahrheit?!

Eher nicht, Politik und der staubige Filz von Lobbyisten und fragwürdigen Beratern tragen dazu bei, dass neue Methoden, wie BIM in Deutschland mit der Steinzeit substituiert und verunglimpft wird. In den deutschen Unternehmen werden ebenso Ängste propagiert. Aber fallen Unternehmen wirklich hinten herunter, wenn man jetzt nicht auf BIM um- steigt? Suchen Bauherren plötzlich nicht mehr die besten Architekten und Ingenieure, sondern die, die am besten BIM können bzw. die meisten Referenzen vorweisen? Werden mit BIM alle Projekte besser, oder ist es nicht so, dass in Deutschland 95 aller Projekte auch ohne BIM erfolgreich sind?! Unwahrheiten über die Auswirkungen sind genauso wenig zielführend wie Glorifizierungen. Wir müssen uns selbst überlassen …, nur bewusst und sensibel muss es geschehen und nicht durch den Aufbau eines künstlichen Drucks, theoretischer Vorgaben und fragwürdiger Geschäftsmodelle. Im Folgenden 10 Unwahrheiten zur Umsetzung und Implementierung der BIM-Methodik – wer hier nicht in die Falle tappt, ist auf dem richtigen Weg.

Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass niemand die zunehmende digitale Welt ignorieren kann. Wie viel Digitalisierung wir aber zulassen, das bleibt jedem selbst überlassen …, nur bewusst und sensibel muss es geschehen und nicht durch den Aufbau eines künstlichen Drucks, theoretischer Vorgaben und fragwürdiger Geschäftsmodelle.

Leak #1:

„Wir sind zu spät dran mit der Einführung der BIM-Methodik.“

„Andere Länder sind viel weiter als wir …“. Aus Sicht der öffentlichen Hand stimmt diese Wahrnehmung tatsächlich. In vielen Ländern wird die Anwendung von BIM in öffentlichen Bauvorhaben vorgegeben, wie z. B. in Großbritannien, Nordamerika, Skandinavien oder Teilen Südostasiens. Wird dort deshalb aber besser und durchgängiger BIM gelebt, zur langsameren Einführung in deutschen Unternehmen?

Eher im Gegenteil. Im Vergleich zu den besagten Nationen erwächst in Deutschland die Entwicklung der BIM-Methodik „von unten“ aus der Wirtschaft, ohne dass es Vorgaben zur Durchführung der Methodik „von oben“ auf öffentlicher Ebene gibt. Eben aus dieser Entwicklung „von unten“, ohne öffentliche Anforderungen „von oben“, könnte der Eindruck entstehen, Deutschland sei in Sachen BIM hintendran. Dieser Eindruck ist falsch. Es gibt viele gute Beispiele dafür, dass BIM in Deutschland sehr gut funktioniert und schon weit vorangeschritten ist – auch ohne öffentliche Vorgaben. Insbesondere etablieren sich deutsche Unternehmen auch auf dem internationalen Markt und  bestätigen eben das Know-how, das in Deutschland in Frage gestellt wird. Die öffentliche Hand, zahlreiche Stufenpläne, theoretische Ansätze und fragwürdige Forschungsprojekte werden an der Entwicklung „von unten“ nichts ändern.

Erst wenn diese ihre internen Prozesse umstellen und die BIM-Methodik selber leben, wird es auch in öffentlichen Projekten erfolgreich werden. Es gibt jedoch auch positive Beispiele öffentlicher Bauherren und Projektentwicklungen, die zunächst die Methode intern implementieren und danach mit gezielten Anforderungen nach außen treten. Als gutes Beispiel ist hier der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW zu erwähnen. Haben Sie Geduld.

Leak #2:

BIM-Projekte setzen hohe Anforderungen an die Beteiligten, mit vielen BIM Referenzen, voraus.

Oft werden Projektbeteiligte in BIM-Projekten primär danach ausgewählt, ob Sie bereits Referenzen aufweisen können, aus denen hervorgeht, dass Sie bereits BIM-Projekte realisiert haben. Ist es wirklich erforderlich, dass bei Ausschreibungen von Planungs- und Bauvorhaben BIM-Referenzen als Anforderung ausschlaggebend sind und was ist, wenn die Anforderungen zu hoch sind? Fraglich ist zudem, was eine BIM-Referenz und was ein BIM-Projekt ist, wo doch die allgemeine Vorstellung von BIM sehr unpräzise ist.

Schränken wir nicht mit der Anforderung, dass Planungs- und Bauunternehmen BIM-Projekte vorzuweisen haben, den Markt und somit den Wettbewerb ein? Aus zu hohen Anforderungen resultiert nur eine geringe Auswahl an Unternehmen, die sich dieser Herausforderung stellen können und die die notwendigen Anforderungen erfüllen. Mit dem Setzen von (zu) hohen Anforderungen wird der Markt verengt.

Leak #3:

BIM-Projekte setzen hohe Anforderungen an die Beteiligten, mit vielen BIM Referenzen, voraus.

Oft werden Projektbeteiligte in BIM-Projekten primär danach ausgewählt, ob Sie bereits Referenzen aufweisen können, aus denen hervorgeht, dass Sie bereits BIM-Projekte realisiert haben. Ist es wirklich erforderlich, dass bei Ausschreibungen von Planungs- und Bauvorhaben BIM-Referenzen als Anforderung ausschlaggebend sind und was ist, wenn die Anforderungen zu hoch sind? Fraglich ist zudem, was eine BIM-Referenz und was ein BIM-Projekt ist, wo doch die allgemeine Vorstellung von BIM sehr unpräzise ist.

Schränken wir nicht mit der Anforderung, dass Planungs- und Bauunternehmen BIM-Projekte vorzuweisen haben, den Markt und somit den Wettbewerb ein? Aus zu hohen Anforderungen resultiert nur eine geringe Auswahl an Unternehmen, die sich dieser Herausforderung stellen können und die die notwendigen Anforderungen erfüllen. Mit dem Setzen von (zu) hohen Anforderungen wird der Markt verengt.

Leak #4:

BIM-Projekte benötigen neue Berufsbilder.

Nach einer zugegebenermaßen nicht sehr gründlichen Recherche stießen der Autor und seine Kollegen auf 23 neue „BIM“-Berufsbilder. Von BIM-Manager bis BIM-Bibliothekar lässt der Teller bunter Knete keine Wünsche offen. Sicherlich gibt es in der Anzahl der Berufsbilder Gemeinsamkeiten oder sogar gleiche Ausprägungen. Die Zahl zeigt jedoch, dass hier eine Unsicherheit vorherrscht, die mitnichten völlig illusionär zu sein scheint.

Es bleibt aber noch die Frage offen, welche Rolle Sie später einnehmen. Nehmen wir an, Sie sind beispielsweise der Architekt und leiten ein Projekt, Sie sind also der Projektleiter. Nach dem allgemeinen Verständnis von Google, BIM-Artikeln, -Vorträgen und Veranstaltungen sind Sie somit prädestiniert, die Rolle und die Verantwortlichkeiten des BIM-Managers zu übernehmen. Sind Sie dann folglich der BIM-Manager, der die Projektleitung übernimmt? Die zweite Variante wäre, dass Sie der Projektleiter bleiben, dabei aber das BIM-Management durchführen? Würde das bedeuten, dass zusätzliche Aufgaben auf Sie zukommen oder traditionelle Aufgaben sich verändern? Die dritte Variante wäre, dass neben der Projektleitung eine weitere Person, die das BIM-Management übernimmt, in das Projektgeschehen eintritt. Müsste das dann zusätzlich eingepreist werden? Letzteres würde aber ja bedeuten, dass die klassische Projektleitung günstiger für die Bauherren wird, da der BIM-Manager ja Teile der Projektleitung übernimmt (z.B. die technische Koordination) und sich somit nur die Methodik der Projektleitung ändert. Wie die Sichtweise nun sein mag, es kann nicht gleichzeitig richtig und zufriedenstellend für den Auftraggeber und Auftragnehmer sein.

Es wird behauptet, dass sich der Kulturwandel durch das bewusste Verteilen und Übernehmen dieser neuen Berufsbilder erleichtert. Zweifelhaft, wenn dadurch Projekte teurer, Projektbeteiligte verunsichert und nichteinpreisbare Projektanforderungen noch komplexer werden.

Die klassischen Berufsbilder werden sich ändern, aber das sollte nicht mit sich führen, dass zusätzliche, (künstliche) Rollen eingeführt werden. Die Aufgabenfelder werden sich im Zuge einer BIM-Einführung erweitern und in der Methodik ändern, doch die Leistungsbilder werden  sich in die klassischen Leistungen und Aufgaben der Planung integrieren und mit der Zeit in die normalen Prozesse übergehen.

Besser also: „BIM benötigt neue Leistungen in den traditionellen Berufsbildern, aber alte Leistungen fallen auch weg bzw. werden zu den neuen.“

Leak #5:

Das Resultat einer modellbasierten Planung ist ein kollisionsfreies Modell.

Dieses Versprechen hört man oft: „Die Anwendung der BIM-Methodik führt zu einer kollisionsfreien Planung, da eine automatisierte Kollisionsprüfung Kollisionen ermittelt und im Ergebnis durch die Abarbeitung der Kollisionen im Planungsprozess ein kollisionsfreies Modell entsteht.“ Als Garant für die „Kollisionsfreiheit“ wird häufig ein BIM-Manager beauftragt.

Exkurs: Der BIM-Manager – Eine bisher noch sehr unbekannte Spezies in Bauprojekten. Oftmals gepaart mit einem der zahlreichen, aus dem Boden sprießenden neuen Unternehmen. Die junge Generation ist mit der Digitalisierung und dem technischen Know-how aufgewachsen und im Vormarsch. Es fehlt jedoch oft ein unschätzbares Gut – die Erfahrung. Dieses Wissen und die benötigten Kompetenzen sind nicht in der „jungen“ Digitalisierung zu finden.

Die Kunst der Kollisionsprüfung ist, die Kollisionen zu beurteilen und nicht Kollisionen zu finden. Im Vordergrund steht dabei die fachliche Fähigkeit zu beurteilen, was nicht im Modell vorhanden ist. Ein gutes Beispiel hierfür ist, dass zwei eng beieinanderliegende Luftkanäle, die durch eine Brandwand verlaufen, keine Kollision hervorrufen, jedoch nicht auf der Baustelle montierbar sind, da durch Vorschriften ein Sicherheitsabstand zwischen den beiden Kanälen vorhanden sein muss. Ein weiteres Beispiel sind eben diese oft nicht vorhandenen Modellelemente wie z. B.  Brandschotte, die ebenfalls bei einer Kollisionsprüfung berücksichtig werden müssen. Fakt ist somit: Es kann keine kollisionsfreien Modelle geben. Es gibt maximal kollisionsarme oder koordinierte Modelle. Im Fokus stehen immer die Baubarkeit und die Vollständigkeit des Modells. Ein kollisionsfreies Modell ist kein Garant für die Richtigkeit und Baubarkeit einer Planung. Nur Unternehmen bzw. Projekte, die die Vorteile aus beiden Welten des „jungen“, technischen Know-hows und der Erfahrung verbinden, haben den Grundstein für Ihren künftigen Unternehmens- oder Projekterfolg gelegt.

Es kann keine kollisionsfreien Modelle geben. Es gibt maximal kollisionsarme oder koordinierte Modelle. Im Fokus stehen immer die Baubarkeit und die Vollständigkeit des Modells. Ein kollisionsfreies Modell ist kein Garant für die Richtigkeit und Baubarkeit einer Planung.

Leak #6:

Level of X – „BIM braucht fest definierte und durchdeklinierte Fertigstellungsgrade.

Mit der Einführung der BIM-Methodik haben sich viele verschiedene Theorien zur Beschreibung von Modellfertigstellungsgraden etabliert, um verschiedene Modellierungstiefen des Projektfortschritts abzubilden.

Der Modellfortschritt könnte somit über jedes Bauteil und deren Fertigstellungsgrade über die jeweiligen Planungsphasen durchdekliniert werden. Das Ergebnis daraus sind unüberschaubare und ziellose „Level of X“-Tabellen, die den Modellfortschritt abbilden und kontrollieren lassen sollen. Dies ist weder trivial noch praxistauglich und führt zu Hürden in den Planungsphasen. Insbesondere die projektspezifische Vorgabe von Fertigstellungsgraden des

Auftraggebers führt meist zu starken Eingriffen in die Prozesse der Auftragnehmer, da diese durch interne Bürostandards ihre eigene BIM-Arbeitsweise entwickelt haben.

Eine Beispielhürde ist die Zeichnung von TGA-Elementen in der Vorplanung. Gemäß aktueller Modellfertigstellungsgrade sollen diese nur schematisch nach ihren ungefähren geometrischen Maßen in Modellen modelliert werden, z. B. mit entsprechenden Platzhaltern. In der darauffolgenden Planungsphase erhöht sich der geometrische Detaillierungsgrad. Die Folge daraus ist, dass sämtliche Platzhalter aus der vorigen Planungsphase gelöscht und durch exaktere Geometrien ersetzt werden. Dies stellt einen überflüssigen Arbeitsschritt während der Planung dar, der aus einer starren Definition des Modellfertigstellungsgrads resultiert.

Der Fokus des Modellfertigstellungsgrades sollte somit ebenso auf dem „Was“ und nicht auf dem „Wie“ liegen. Vielmehr sind es auch die Anwendungsfälle, die den Fertigstellungsgrad eines Modells definieren. Wird eine modellbasierte Mengenermittlung innerhalb einer bestimmten Leistungsphase gefordert, richtet sich danach der Fertigstellungsgrad, ohne diesen kleinteilig zu definieren. Weiterhin gibt auch der traditionelle 2D-Plan den Detailierungsgrad des 3D-Modells vor. Mit der Anforderung, dass Grundrisse, Schnitte und Ansichten aus dem 3D-Modell abzuleiten sind, gibt der Plan mit seinen Maßstäben eine unmissverständliche Definition vor.

Das beschriebene Vorgehen führt dazu, dass eine funktionale Ausschreibung des Modellfertigstellungsgrads ergebnisorientierter ist als eine konkrete und starre Definition jedes Bauteils zu jeder Planungsphase. Mit gutem Beispiel voran geht hierbei die Bundes Architektenkammer mit ihrer jüngsten Veröffentlichung „BIM für Architekten – Leistungsbild, Vertrag, Vergütung“ sowie Siemens Real Estate mit dem zugehörigen BIM@SRE Standard. Eine Ausnahme für die Vorgabe sehr detaillierter Fertigstellungsgrade können jedoch auch standardisierte, mehrfach zu realisierende Bauwerke darstellen. Hier sind insbesondere die BIM-Vorgaben der DB Station&Service AG (I.SBB) & der DB Netz AG (I.NPM) hervorzuheben.

Leak #7:

Erst virtuell, dann real bauen!

„Erst virtuell, dann real bauen!“ – so heißt es. Diese Sichtweise impliziert, dass bevor es zur Realisierung eines Bauprojekts kommt, eine komplett durchdachte und abgestimmte Planung in Form eines virtuellen Bauwerks fertiggestellt wird, nach dem dann gebaut werden kann. Hierbei würde man von einem sogenannten „Design Freeze“ sprechen – nachdem der perfekte digitale Zwilling erstellt ist, wird es keine Änderungen mehr geben …

Dementgegen steht die Realität: Der Prozess zur Erstellung eines Bauwerks dauert oft mehrere Monate und Jahre, und die Welt rund um das Projekt steht nicht still. Viele Projekte ändern sich auch durch den späteren Nutzer, wie z. B. in Einkaufszentren oder Mieter für Wohnen und Gewerbe, die erst auf Grundlage der Planung in späteren Phasen hinzugezogen werden. Insbesondere auch in einer gewerkeweisen Vergabe wird der Rohbau schon vergeben, wenn der Ausbau noch nicht ausführungsreif geplant ist, um die Projektlaufzeit zu optimieren. Es wird immer Änderungsanforderungen geben, die kontinuierlich in den Projektverlauf einfließen sollten, ohne dass sie Störfaktoren für das Projekt darstellen. Dazu muss ein starkes projektspezifisches Änderungsmanagement aufgesetzt werden, denn Änderungen können auch positiv sein, weil sie im Regelfall die Planung verbessern und damit dem Auftraggeber das optimale Bauwerk liefern. Die Möglichkeit eines solchen Änderungsmanagements durch die BIM-Methodik ist weitaus effizienter als ein Design Freeze durch das starre „virtuelle“ Bauen.

Eine bessere Beschreibung ist ggf. das digitale Abbild des tatsächlich umgesetzten Bauwerks, welches sich jedoch nur auf das Ende der Bauausführung beziehen sollte und die Nachführung aller Änderungen in die Modelle und daraus resultierenden Ergebnisse bezieht. Es wird immer Änderungsanforderungen geben, die kontinuierlich in den Projektverlauf einfließen sollten, ohne dass sie Störfaktoren für das Projekt darstellen. Dazu muss ein starkes projektspezifisches Änderungsmanagement aufgesetzt werden, denn Änderungen können auch positiv sein, weil sie im Regelfall die Planung verbessern und damit dem Auftraggeber das optimale Bauwerk liefern.

Leak #8:

Open BIM ist gut und Closed BIM ist böse.

Die Strategien Open BIM und Closed BIM mit Ihren Geschwistern little BIM, BIG BIM etc. zeichnen sich übergeordnet dadurch aus, dass ein Datenaustausch entweder über offene Datenformate (z. B. IFC) oder über proprietäre Datenformate der jeweiligen Erstellersoftware stattfindet, wobei beim Closed BIM disziplinübergreifend auf eine gleiche Software-Lösung geachtet werden muss. Projekte stehen daher oft vor der strategischen Frage: Open oder Closed?

Ist es aber strategisch wirklich notwendig, sich zwischen Open BIM oder Closed BIM entscheiden zu müssen? Diese Fragen sollten in Projekten und Unternehmen gar nicht erst gestellt werden und die Begriffe denen Überlassen werden, die sie sich als Geschäftsmodell in der Beratung, in der Umsetzung von Projekten oder als Philosophie angesteckt haben.

Die strategische Ausrichtung sollte sich also nicht über die verwendeten Softwareformate definieren, sondern vielmehr über die 3 Bereiche der Informationserhebung, des Informationsaustauschs und der Informationsnutzung. Jeder Bereich für sich kann somit in den Schnittstellen verschiedene Ausprägungen haben. Diese Bereiche untergliedern sich wiederum in die Modellerstellung, Klassifizierung und Spezifizierung, Generierung von Dokumenten, dem Austausch von 3D-Modellen, der Qualitätssicherung, BIM-Anwendungsfällen und interne Prozesse (z. B. die Erstellung eines FEM-Modells der Tragwerksplaner).

Demnach stellt sich die Frage „Open BIM oder Closed BIM?“ gar nicht! Beide Strategien haben für bestimmte Anwendungsfälle Vor- und Nachteile. Es wird jedoch niemals eine Strategie für sich alleine stehen. Oft reicht es sogar, die Anwendungsfälle schnittstellen-neutral zu betrachten und auf die Vorgabe von Software und Schnittstellen gänzlich zu verzichten, wobei dies jedoch meist eine Kollaborationssoftware voraussetzt. Grundsätzlich werden also beide Strategien in Projekten verfolgt.

Leak #9:

„Wir müssen uns ein Beispiel an anderen Branchen nehmen!“ „Industrie 4.0, Automobil-, Schiff- und Flugzeugbau, Mobiltelefone, bla bla bla.“

Der Berater, ein apokalyptischer Reiter, der disruptive Innovationen als Angriff auf etablierte Geschäftsmodelle nutzt. Doch wie überzeugt ein Berater seinen potenziellen Auftraggeber von dieser Innovation „BIM“, ohne selber praktische Erfahrung in BIM-Projekten zu haben? Des Rätsels Lösung sind glorifizierende Vergleiche, hinter denen man sich verstecken kann, die jedoch durchaus schlüssig sind. Zumindest auf den ersten Blick. Auf zahlreichen Veranstaltungen zum Thema BIM hört man immer wieder

nachfolgende Phrasen, die einem das Gefühl geben, in der Steinzeit zu leben.

„Industrie 4.0 – Im Maschinenbau machen die das schon“, „Die Digitalisierung hat sich im Flugzeug-, Fahr- zeug- und Schiffbau schon lange durchgesetzt. Ohne dass auch nur ein Blech gebogen wurde, steht beispielsweise ein Auto zur Probefahrt in der virtuellen Realität bereit. Auch Produktionstechnik und Produktionsorganisation sind bereits virtuell geplant, simuliert, geprüft und abgenommen.“ – „Mobiltelefone, egal von welchem Hersteller und unterschiedlichen Betriebssystem können miteinander und andern Endgeräten kommunizieren, warum können wir das nicht?“. – „In Großbritannien, da machen die das schon alles“.  „Die Produktivität und Digitalisierung in Deutschland hängt allen anderen Branchen hinterher.“

Hmm, ich kann mich nicht erinnern, dass man jemals ein fertiges Gebäude auf einer Teststrecke fahren lassen hat, einen Elchtest gemacht oder gar einem Crashtest unterzogen hat, bevor es an den Kunden verkauft wurde. Gebäude entstehen dagegen nahezu ohne Ausnahme als Unikate, als reales und unerprobtes Modell der Planungsidee im Maßstab 1:1, die nicht in einem überdachten Werk entstehen. Die Autoren haben sich im vergangenen Jahr stark im bsi (british standards institution) engagiert. Die britischen Kollegen konnten uns nicht von so vielen BIM-Projekten berichten, die wir eigentlich durch die in Deutschland oft kommunizierte Wahrnehmung erwartet hatten. Im Gegenzug haben wir unsere Projekte in Deutschland vorgestellt und Begeisterungsstürme ausgelöst. Die Bauindustrie ist momentan vielleicht nicht die durchgängigste, digitalisierteste Branche, jedoch die Branche mit dem meisten Wachstum in der Digitalisierung. Das ist doch positiv und nicht negativ darzustellen!

Wenn wir schon von anderen lernen wollen, dann doch eher von den Gescheiterten! Wir befinden uns gerade in einer neuen Zeit – in einer Zeit der Disruption. In einer Zeit, in der die traditionellen Geschäftsmodelle nicht mehr funktionieren, sie brechen weg. Viele Unternehmen sind jedoch zu sehr damit beschäftigt, Geld zu verdienen, wie sie es immer getan haben.

Beispielsweise Kodak, gegründet 1888, ein Riese mit einst 145.000 Mitarbeitern, der 2012 insolvent ging. Warum gelang es Kodak nicht, die Foto-App Instagram zu entwickeln? Es hilft auch nicht, einfach BIM zu implementieren und schon gar nicht in den besagten alten Tüchern. Es ist kompliziert, aber gleichzeitig auch einfach. Innovationen sind nur dann auch disruptiv, wenn der Bauherr oder beispielsweise auch die eigenen Mitarbeiter eines Planungsbüros sagen: „Hey, so ist es viel besser, als wir es immer gemacht haben!“ Und hierbei sind keine „wilden“ BIM-Anwendungsfälle gemeint, sondern die Kollaboration, Koordination und Kommunikation in den Projekten und Unternehmen. BIM stellt hierzu passende Werkzeuge bereit. Alles Weitere ist ihr Geschäftsmodell, das traditionell wohlmöglich nicht mehr lange funktioniert.

Wer sein Geschäftsmodell der Zeit anpasst, dem gehört auch diese Zukunft (Uber, Airbnb, Instagram). Und wer zögert oder sich wehrt, ist Vergangenheit (Taxiunternehmen, Hotels, Kodak). Der Vater der Disruption (der Urvater ist Joseph Schumpeter), Clayton Christensen, hat dies 1997 als das „Dilemma des Innovators“ bezeichnet. Der Professor an der Harvard Business School hatte, vor allem am Beispiel der Diskettenindustrie, dargelegt, dass etablierte Unternehmen in der Regel damit scheitern, sich an der Spitze zu halten, obwohl sie aus ihrer Sicht alles richtig machen. Neue Firmen verändern die Spielregeln, weil sie mithilfe technischer Innovationen Produkte viel billiger herstellen können. Den Platzhirschen gelingt es oft nicht, neue Produkte für neue Märkte oder Kunden zu finden. Weil sie nach alten Regeln spielen und sich darauf konzentrieren, ihre bestehenden Kunden und deren Bedürfnisse zu pflegen.

Die Bauindustrie ist momentan vielleicht nicht die durchgängigste, digitalisierteste Branche, jedoch die Branche mit dem meisten Wachstum in der Digitalisierung. Das ist doch positiv und nicht negativ darzustellen!

Leak #10:

„Wenn Sie jetzt nicht BIM implementieren, dann …“

Da Sie eigentlich gar nicht wissen, was BIM, oder besser noch, die Digitalisierung für Ihr Unternehmen, Projekt und auch Geschäftsmodell bedeutet, kann es auch schlecht funktionieren, dass man sich z. B. nur am Wettbewerb, an

der Forschung, an Verbänden oder gar an Vereinen orientiert und deren Ideen und Lösungen kopiert. Sie fokussieren damit die Konkurrenz, sehen aber nur deren Ergebnisse an der Oberfläche. Copy & Paste klappt also nur bedingt. Ebenso werden Ihnen keine standardisierten Vorgaben, Bücher und weitere Informationen – heruntergeladen aus dem Internet – helfen. Auch eine aus der Schublade gezogene Implementierung ist nur kurzweilig zielführend.

Nur mal so …: Wenn Sie im Portal XING das Stichwort „BIM“ in den Fähigkeiten der Mitgliedersuche eingeben, bekommen Sie 3.076 Mitglieder als Suchergebnis.

Fazit

BIM-Projekte setzen hohe Anforderungen an die Beteiligten, mit vielen BIM Referenzen, voraus.

Konsequenterweise bleibt nach dieser mehr oder minder langen Kritikliste an der Implementierung von BIM eine große Frage offen: Was kann man tun, um BIM erfolgreich im Unternehmen und in Projekten zu implementieren und die Schwachstellen zu eliminieren?

Implementieren und verändern Sie Ihre Prozesse sinnvoll und folgen nicht den „wilden“ BIM-Anwendungsfällen. Was bedeutet beispielsweise das Erstellen einer modellbasierten Ausschreibung? Wir sprechen hier eher von einer modellbasierten Mengenermittlung. Sie werden merken, dass vielleicht maximal 40 Ihrer Positionen überhaupt modellbasiert sind, dass Sie so modellieren wie Sie kalkulieren – was mit sich bringt, dass Ihr technischer Zeichner Verständnis für die Kalkulation aufweist und umgekehrt genauso. Was bedeutet weiterhin eine Bauablaufsimulation? Für den Rohbau sicherlich nicht viel, aber liegt hier das Risiko, welches durch BIM beherrschbar wird? Das Ausmaß und der Aufwand für die Ausbaugewerke, da, wo es interessant wird, ist enorm! Vorab müssen Sie jedoch Ihre klassische Terminplanung umstellen, weg von Leistungen hin auf die Umstellung auf Bauteilebene. Prost!

Wie in den obigen „Unwahrheiten“ beschrieben, versuchen Sie beispielsweise als Auftraggeber nicht in die internen Prozesse Ihrer Auftragnehmer einzugreifen. Beschreiben Sie Ihre Detailierungsanforderungen funktional. Beschreiben Sie Leistungen und keine Berufsbilder. Setzen Sie Ihre Strategie unabhängig von Open BIM oder Closed BIM auf. Suchen Sie den besten Planer bzw. die besten Planerteams und nicht diejenigen, die auf Basis ihrer Referenzen am besten BIM können. Bestellen Sie nur das, was Sie auch selbst verwerten.

Begreifen und akzeptieren Sie BIM als Stein des Anstoßes für einen fortlaufenden Wandel der Prozesse, Arbeits- und Denkweisen in Ihrem Unternehmen und Ihren Projekten. Märkte, Auftraggeber, Produkte und staatliche wie politische Rahmenbedingungen ändern sich. Es kann heute keine erfolgversprechende Überlebensstrategie sein, all das zu ignorieren und das Geschäftsmodell nicht anzupassen.

Keiner kann von sich behaupten, es für die Allgemeinheit „richtig“ zu machen. Das kann nur für ein eigenes Geschäftsmodell funktionieren. Gerade deshalb gibt es kein „zu spät“ in der Einführung der BIM-Methodik. Wenn keiner vorne ist, kann man auch nicht hinterher hängen.