
Perspektivwechsel: ein Common Data & Information
Environment (CDIE) als Digital Twin
Digital Twin
Herausforderung Digital Twin: Der Weg zum integrierten Lebenszyklus
Eine Vielzahl von Organisationen im Bereich des Real Estate und Asset Managements beschäftigt sich mit der Digitalisierung von Bauprozessen. Zunehmend ist zu beobachten, dass Projekte digital geplant und realisiert werden. Geht es um den Betrieb von Gebäuden stellt sich vielerorts aber noch die Frage: Wie können die Informationen digitaler Modelle auch später genutzt werden? Standards zur Definition von Informationsanforderungen sind dabei weniger die Herausforderung. Es fehlt viel mehr an einer technischen Grundlage oder einer Plattform über die Informationen ausgetauscht und bereitgestellt werden können.
Anfangs bedienten sich die meisten Organisationen für das Speichern und den Austausch von Daten an am Markt vorhanden Produkten. Im Zusammenhang mit BIM kam die Frage auf nach einer integrierten Betrachtung und schnittstellenfreien Lösung, die es ermöglicht die durch BIM gewonnen Informationen nach Abschluss eines Projekts verlustfrei in den Betrieb zu übergeben. Themen wie IT-Sicherheit, Datenhoheit oder Anpassbarkeit auf eigene Anforderungen spielen dabei eine immer stärkere Rolle.
In einer dezidierten Untersuchung der Integration von BIM in den Betrieb wurde festgestellt, dass eines der Hauptprobleme bei der Akzeptanz von BIM in der mangelnden Verfügbarkeit liegt, beginnend damit, dass das Öffnen von Modellen eine Hürde darstellt und bereits so die Weiterverwendung der im Modell hinterlegten Attribute verhindert wird. Auch der projektbezogene Einsatz externer CDE-Lösungen und die nicht funktionierende Rückintegration in bestehende Systeme wurden als Hindernisse der Implementierung von BIM wahrgenommen.
In der gesamthaften Betrachtung aller notwendigen Bestandteile ist also festzustellen, dass nach wie vor eine starke Trennung der Projekt- und Betriebsphase sowie deren Standards und Tools vorliegt. Das teils in der Literatur formulierte Ziel der Integration eines sog. „Digitalen Zwillings“ lässt sich derzeit nur bedingt in den real verfolgten Lösungsansätzen finden. Dies ist, in Bezug auf die BMW Group darin zu begründen, dass es bis dahin keine zentral zur Verfügung gestellte Lösung gab, die eine Heimat für Pläne, Modelle und Dokumente im Verlauf des Lebenszyklus einer Immobilie darstellt.
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Grundlage einer Verbindung zwischen Projekt und Betriebsphase
Der Duden definiert Integration als die „Einbeziehung, Eingliederung in ein größeres Ganzes“ sowie fachsprachlich als die „[Wieder]herstellung einer Einheit [aus Differenziertem]; Vervollständigung“.
Dabei steht nicht im Vordergrund, als Ergänzung zu den existierenden Standards, Richtlinien und Systemen der Projektphase einer Immobilie, ein weiteres System für den Betrieb zu schaffen, sondern viel mehr die Grundlage einer Verbindung zwischen Projekt und Betriebsphase zu schaffen. Entscheidend sind hierbei neben den Prozessen und deren Standards, das dazugehörige Informationsmodell mit seinen Perspektiven sowie der technische Rahmen in Form eines einheitlichen Common Data Environments.
Das Ziel ist es, mittels eines geometrischen, wie auch semantischen Informationsmodell über den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie alle relevanten Perspektiven abdecken zu können. Hierzu sind die entsprechenden Prozesse und Systeme auf unterschiedlichen Ebenen ein Teil des in einer Plattform abzubildenden Digitalen Zwillings. Aus diesem Grund wurde im Juli 2021 die Entscheidung getroffen, eine eigene Plattform für die Abwicklung von Projekten sowie für die Verwaltung von Bestandsplänen und Modellen zu entwickeln. Das Ziel ist dabei die Einordnung aller Daten in ein zentral vorgegebenes Informationsmodell, dass die Informationen des Real Estate Management klar strukturiert und somit auch eine objektorientierte Steuerung von Projekten und Assets ermöglicht. Dabei werden alle Modelle und ihre Inhalte einer Ontologie zugeführt und dadurch in einen Kontext gesetzt, der die langfristige Abbildung eines Digitalen Zwillings ermöglicht. Jeder Datensatz kann durch Anreicherung und Verlinkung zu anderen Informationen und Daten somit sukzessive den realen Zustand einer Immobilie abbilden.
In diesem Zusammenhang werden alle Dimensionen der Verfügbaren Informationen genutzt und sie führen zu einer Anreicherung des entsprechenden Assets. Diese Entwicklung ist begleitet von umfassenden Change Aktivitäten, um neben den technischen Voraussetzungen auch die prozessualen Grundlagen zu vermitteln. Dadurch wird der Nutzer befähigt, integriert in seinen bekannten Prozess, seine Daten bereitzustellen und zu verwalten, um so den Digitalen Zwilling zum einen zu erstellen und zum anderen kontinuierlich zu pflegen. Der Ansatz eines integrierten Lebenszyklus einer Immobilie und somit die Idee des Digitalen Zwillings ist daher nur Hand in Hand mit den entsprechenden Standards in Form von Liefervorschriften, Prozessen, einem Informationsmodell und einer durchgängigen Plattform zu realisieren.
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Umsetzung/Perspektivwechsel: Das CDE im Fokus des Digital Twins
Ein CDE beschreibt das Zusammenwirken von Daten, Strukturen, Workflows, Systemen, Schnittstellen und Anwendern innerhalb eines Projekts oder einer Organisation und nicht nur eine Technologie wie es oftmals im BIM-Kontext vermittelt wird. Der wichtigste Baustein dabei ist das Strukturieren von Daten. Doch allein die systemübergreifenden, strukturierten Daten reichen nicht aus, um einen Digitalen Zwilling abzubilden. Die Kunst besteht darin, aus Daten Informationen abzuleiten und aus Informationen Wissen zu generieren.
Ein einheitliches und neutrales Informationsmodell ermöglicht es Daten innerhalb eines Projektes oder gar einer ganzen Organisation für jeden auffindbar und nutzbar zu machen. Ziel dabei ist es, verbindliche und dennoch adaptive Standards zu schaffen, um Daten eineindeutig klassifizieren zu können. Informationen lassen sich auf solch einer Grundlage optimierter weiterverarbeiten. Insbesondere die Klassifizierung von Bauteilen, Anlagen, Aggregaten, Komponenten und Datenpunkten, aber auch von damit in Zusammenhang stehenden Dokumenten erfolgt mit Hilfe des Informationsmodells. Dieses basiert auf verschiedenen Aspekten, wie Ort, System, Funktion, Komponente, Signal, Typ oder Dokument. Über diese Aspekte wird eine Identifikation sichergestellt. Es ermöglicht die Anbindung verschiedenster Viewer, Systeme, Datenbanken oder Applikationen innerhalb einer Organisation. Aus dem CDE wird also ein CDIE – Common Data and Information Environment. Das Informationsmodell bildet den Kern eines digital Twins und nicht die visuelle Repräsentanz.
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Retrofit: Never change a running system
Dass bestehende Technologien und Tools dem „Planen, Bauen und Betreiben 4.0“ nicht standhalten, ist eine einfache und schwer verifizierbare Aussage, hinter der sich viele vermeidliche Spezialisten verstecken. Wie im Vorhinein beschrieben, ist jedoch das Informationsmodell entscheidend und nicht die genutzte Software. Also geht es darum, den Teppich hochzuheben und die Daten zu strukturieren, die die letzten Jahre hier drunter gekehrt worden sind. Es geht nicht darum, Software abzulösen. Hierbei kann man sich des Ansatzes des Retrofittings bedienen. Im Kontext von Industrie 4.0 bedeutet dies, dass existierende Maschinen auch ohne programmierbare Steuerungen oder digitalen Schnittstellen durch Sensorik eingebunden und intelligent gemacht werden. Übertragen auf die proprietären Bestandssysteme im Gebäudebetrieb und den notwendigen Austausch von konsistenten Informationen, bedeutet dies die Herstellung einer offenen Vernetzung von Software durch das Beschreiben von systemunabhängigen Schnittstellen. Das Retrofitting bindet aufbauend auf dem Informationsmodell somit existierende Software intelligent ein.

Dabei setzt Retrofit zum größten Teil auf vorhandene Schnittstellen bzw. Standards auf und kann dadurch nachträglich ergänzt werden. Es ist kein Austausch von Software notwendig, sodass dieses Vorgehen herstellunabhängig und schnittstellen-neutral ist. Mit diesen Erkenntnissen können auch bestehende Systeme und Applikationen, die gewohnten Workflows, wie die Kollaboration zwischen Projektbeteiligten, die Instandhaltung und Wartung oder das Flächenmanagement durchgeführt werden. Auf Grundlage der einheitlichen Sprache über das Informationsmodell können jederzeit weitere Applikationen in den Digital Twin aufgenommen und neue Workflows und Anwendungsfälle erzeugt werden. Die Verknüpfung der Daten innerhalb des CDIE bietet neue Möglichkeiten. Beispielsweise wird das Entscheidungsmanagement durch die Anreicherung und Vernetzung von Informationen aus anderen Perspektiven und Ebenen unterstützt. Das Baumanagement eines Real Estate Unternehmens, kann somit beispielhaft auch überregionale wartungs- und instandhaltungsrelevante Informationen wie Störmeldungen aus vergleichbaren Projekten abrufen. Somit ist die Entscheidung für ein Anlagenhersteller bzw. die Produktauswahl nicht mehr allein der Preis und die Funktion, sondern auch die Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit. Zudem werden die noch sehr manuell geprägten Use Cases wie Technical Due Dilligence, Nachhaltigkeitsreports oder Ressourcenmanagement unterstützt, die momentan auf Grundlage der vermeidlich „vorhandenen“ Immobiliendaten durchgeführt werden.
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Kollektive und konsistente Methoden und Technologien zusammenbringen
Hat man als Organisation eine Umgebung, wie ein CDIE geschaffen, das verschiedene Systeme und Prozesse miteinander in Verbindung setzt und idealerweise dem Anwender einen zentralen Einstiegspunkt (Single Sign On) bietet, öffnen sich neue Betrachtungsweisen auf einen Digitalen Zwilling. Auch wenn BIM als Zugpferd der Digitalisierung im Kontext der Bau- und Immobilienbranche gilt, gibt es weitere Technologien, die in ein CDIE eingebunden werden können. Mit Hilfe von GIS lassen sich die (BIM)-Daten in einem räumlichen, globalen und georeferenzierten Kontext stellen. Kartendienste können aus Anwendersicht dabei helfen Informationen schneller zu finden. Ein digitales Abbild des Immobilienportfolios der eigenen Organisation, das spielerisch zu bedienen ist. Je nach Rolle oder Verantwortung lassen sich Informationen auf der entsprechenden Flughöhe finden. Ein Zoom von einer globalen Ansicht bis runter auf einzelne Komponenten, verknüpft mit den entsprechenden Daten und Informationen. Der Anwender entscheidet, was wichtig ist und, was in welcher Detailierung zu sehen sein soll. Im Hintergrund sucht das CDIE auf Grundlage des einheitlichen Informationsmodells aus den notwendigen Zielsystemen die entsprechende Information. Der Anwender steht vermehrt im Fokus und die Frage: Welche Informationen benötigst du? Über ein CDIE lassen sich statische-, historische- oder Livedaten verschiedenster Zielsysteme miteinander in Verbindung bringen. Es geht darum die Mehrwerte einzelner Stakeholder, Technologien und Systeme miteinander zu kombinieren und aus den eigenen Daten Wissen entstehen zu lassen.

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Ein Blickwinkel aus dem „Orbit“ hilft für das Verständnis
Wie sieht ein CDIE technisch aus? Was steckt dahinter? Vermehrt ist festzustellen, dass insbesondere Organisationen mit großen Immobilienportfolios von ähnlichen Fragen getrieben werden: Wie erhalte ich vollständige Kontrolle über meine Daten? Wo kann ich meine Daten sicher speichern? Wie stelle ich einen reibungslosen und lebenszyklusübergreifenden Zugriff auf Daten her? Kern des CDIE ist das Informationsmodell, bestehend aus verschiedenen Aspekten, die es ermöglichen alle „Assets“ eindeutig zu identifizieren. Um diesen Kern tummeln sich verschiedene Workflows mit unterschiedlichen Anforderungen, wie dem Managen, Visualisieren oder Analysieren von Dateien. Für jeden Workflow gibt es einen Connector zum Kern des CDIE, der eine für den jeweiligen Workflow vorgesehene App damit verbindet. Der Connector übersetzt die Informationen aus der Zielapplikation in das einheitliche Informationsmodell und ermöglich dem Anwender Zugriff darauf. Das CDIE ist um weitere Workflows und Applikationen beliebig skalierbar. Eine Organisation kann also aus vorhandenen Systemen und Apps einen Digitalen Zwilling erzeugen, behält den Zugriff auf Daten und macht sich weniger abhängig vom am Markt angebotenen Tools. Voraussetzung dafür ist, dass man im Sinne des Best-of-Breed Gedankens weiß, dass gewisse Schnittstellen und Oberflächen selbst zu entwickeln sind.

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Erkenntnis: What you see is what you get
Die Idee des Digitalen Zwillings ist nicht neu. Dennoch wird mehr denn je – insbesondere im Kontext der Bau- und Immobilienbranche – darüber gesprochen. Dabei unterscheiden sich die Sichtweisen darauf, was ein Digitaler Zwilling ist. Für die einen ist es die Visualisierung – für uns sind es die Daten! In der Theorie ist ein Digitaler Zwilling eine, wie der Name schon sagt, digitale Repräsentanz. Diese digitale Repräsentanz kann ein materielles oder immaterielles Objekt sein. Je nach Bereich in der Bau- und Immobilienbranche gibt es unterschiedliche Ausprägungen: Ein Digitaler Zwilling kann der Scan eines Gebäudes in Form von Punktwolken oder Bildern sein. Ein Digitaler Zwilling kann ein BIM-Modell mit darin gespeicherten Informationen sein. Ein Digitaler Zwilling kann die Abbildung von Datenpunkten von Sensoren in Räumen in einer Applikation sein.

Obwohl es sich jeweils um unterschiedliche Ziele und Technologien handelt, haben alle drei Beispiele eines gemeinsam: Es geht um Immobiliendaten, die in irgendeiner Form analysiert oder genutzt werden. Das Problem dabei ist, dass aus Anwendersicht nicht immer alle Daten für jeden sichtbar sind. Das liegt oft daran, dass innerhalb einer Organisation nicht jeder Zugriff auf alle eingesetzten Systeme oder Applikation hat. Wenn man den Blickwinkel jedoch etwas erweitert und eine gesamte Organisation und nicht nur eine einzige Sicht betrachtet, kann man erkennen welche Daten innerhalb der verschiedenen Systeme oder Applikationen in Verbindung stehen und entsprechen nutzbar sind. Die Frage lautet also: wie verknüpfe ich die Daten und schaffe es, dass jeder Anwender den richtigen Zugang bzw. Zugriff auf diese Daten erhält? Die Antwort: ein gut organisiertes CDIE. Immobiliendaten neu denken ist das Stichwort. Die immer noch sehr unterschiedlichen Sichtweisen müssen auf Ebene einer Organisation zusammengebracht werden. Aus unterschiedlichen Projekträumen und Projektplattformen wird ein lebenszyklusübergreifender Daten- und Informationsraum. Aus gewachsenen Datenstrukturen wird ein neutrales Datenmodell. Daten als Erfolgsfaktor einer Organisation und ein CDIE als Umschlagsplatz dieser Daten.
“No matter how much twin or technology you implement. If no one understands it, it’s useless.”