Wie man ein As-Built-Modell züchtet

Planungsqualität

Im Projekt „Jüdisches Krankenhaus Berlin“ (kurz: JKB) wird nicht über Building Information Modelling (BIM) philosophiert – es wird einfach umgesetzt.

Dies geschieht im fortlaufenden Projekt Schritt für Schritt. Je nach Bedarf, Erfordernis und Erkenntnis wird so der Umfang der BIM-Methode definiert. Das Projekt beinhaltet zum einen die Auseinandersetzung mit mehreren Bestandsgebäuden, die weitere Anbindung von Gebäudeteilen sowie die Realisierung eines Bettenhauses als Neubau.

Die Zielsetzung

Die Zielsetzung im Projekt war von Beginn an klar definiert. Es soll zum einen ein neues Bettenhaus entstehen, welches optimal auf den zukünftigen Krankenhausbetrieb ausgelegt ist. Zum anderen soll der Gebäudebestand aufgenommen, in die Planungsprozesse eingebunden und für Betriebsprozesse optimiert werden.

Abbildung 1: Zieldarstellung mit der BIM Methode vom analogen Bestand bis zum modellbasierten FM

Das JKB-Projekt umfasst neben acht Bestandsgebäuden, zwei Anbauten und einem Neubau, diverse Verbindungsgänge und die gesamte Umgebung. Aufgrund des Projektumfangs, sollen schon in der Planung optimale Prozessabläufe berücksichtigt bzw. gewährleistet werden. Dies allein mag vielleicht keine Besonderheit in einem Bauprojekt sein, hinzukommend werden darin jedoch auch Veränderungen in der Anordnung einzelner Kliniken innerhalb des Krankenhauses sowie zukünftige potenzielle Belastungen durch Patientenaufkommen betrachtet. Um den Planungsprozess weiter zu unterstützen bzw. generell zu ermöglichen, mussten aussagekräftige Grundlagen bereitgestellt werden. Diese Grundlagen bezogen sich beispielsweise auf die Ermittlung der Kapazität von Aufzügen oder die funktionale Ausstattung der Patientenzimmer.

Doch lohnt sich eigentlich der Einsatz der BIM Methode in diesem ca. 50.000 m² (BGF) großen Vorhaben? Rechtfertigt der erhobene Mehraufwand der Modellierungsarbeit die weitere/zusätzliche Verarbeitung der Modellinformationen den daraus entstandenen Nutzen? Die Fakten sprachen anfangs gegen eine modellbasierte Arbeitsweise. Die existierende Dokumentation des Gebäudebestands war unzureichend, die Bewirtschaftung soll künftig intern umgesetzt werden – was zusätzliche Kapazitäten seitens Bauherrn erfordern würde, ein CAFM-System war bislang nicht vorhanden und das Flächen- und Assetmanagement war nur im Ansatz ausgeprägt. Trotz dieser den Ansprüchen nicht gerecht werdenden Ausgangssituation wurde sich für eine durchgängig modellbasierte Projektabwicklung entschieden.

Begin with the end in mind

Die Ausschreibung und Beauftragung von Planern für die Aufgaben der An- und Neubauplanung im noch damaligen VOF-Verfahren wurde begleitet von geringfügigen aber gezielt gestellten Anforderungen. Auch wenn die Bestimmung des Reifegrades hinsichtlich der Projekterfahrung mit BIM zu dem Zeitpunkt (Mitte 2015) wenig Aussage hatte, wurden Rahmenbedingungen und Festlegungen innerhalb eines Lastenheftes und einem entsprechenden Pflichtenheft auf Auftragnehmerseite definiert. Angaben zu Detaillierungstiefen (LoD) oder einem erforderlichen Informationsgehalt wurden für die modellbasierte Planung auf zwei Seiten funktional beschrieben.

Um hier eine modellbasierte Projektabwicklung zu ermöglichen, war die Entwicklung von BIM Standards, sprich eines einheitlichen Vorgehens in der Projektabwicklung, und eines BIM-Betreiberkonzeptes für die Bewirtschaftung erforderlich. Hierfür wurde die Position eines Informationsmanagements (vrame Consult GmbH) auf Bauherren- bzw. Betreiberseite eingeplant, welches den gesamten Projektlauf BIM-seitig unterstützen soll. Diese umfasst insbesondere die modellseitige Abwicklung, wie die Pflege und Bereitstellung der einzelnen Modelle für Aufgaben in der Betriebsphase, sowie die Begleitung des Neubauprojektes in der Koordination und Qualitätssicherung. Vor dem VoF-Verfahren galt es die Frage nach den Inhalten, welche in das Bestandsmodell einzubeziehen waren, zu klären, um diese den entsprechenden Planern im Wettbewerb bereitzustellen.

Schritt für Schritt ins digitale Projekt

Zunächst musste hierfür die vorliegende Situation erfasst werden. Die Sichtung und Aufnahme der Gebäudestruktur und deren Inhalte erfolgte auf Grundlage von Bestandsplänen sowie vereinzelter digitaler Zeichnungen im DWG-Format. Per Scan wurden die Bestandspläne für eine weitere Verarbeitung eingelesen, den jeweiligen Gebäuden und Objektteilen zugeordnet und auf Vollständigkeit geprüft. Nachfolgend galt es, eine Basis für eine erste digitale Zusammenstellung dieser Dokumentation zu schaffen. Die Erstellung von Bausätzen innerhalb der Modellierungssoftware sowie die bereitgestellten Bestandspläne waren die Grundlage einer ersten Modellierung der Bestandssituation. Das erste Ergebnis war qualitätsbedingt unbrauchbar. Im zweiten Ansatz wurden die Anforderungen konkretisiert. Ansprüche an das erste Bestandsmodell wie eine geschossweise Modellierung, der Verwendung von Standardbauteilen oder dem generellen Anlegen und Nutzen eines Rasters wurden explizit definiert. Ebenfalls wurden sämtliche Ausstattungsinhalte integriert. Dies umfasste Sanitärobjekte und, soweit verzeichnet, sogar das Mobiliar.

Abbildung 2: Bestandsmodell Haus A und B

Die Nutzung des entstehenden digitalen Modells brachte weitere Fragen und Ungereimtheiten, aber auch die Möglichkeiten mit sich, diese zu beantworten. So entstand auch der Bedarf nach der Verifizierung aller Modellelemente. Es ist in vielerlei Hinsicht ein böses Erwachen, wenn die Dokumentation die Bestandssituation vor Ort derart verfälscht darstellt, dass Baumaßnahmen und die Planung dieser unnötigerweise in eine Schnitzeljagd verwandeln. Insbesondere die Aufnahme der technischen Gebäudeausrüstung (TGA) im laufenden Krankenhausbetrieb war größtenteils nicht möglich. Diese ist jedoch erforderlich, um die bestehenden 2D Bestandpläne zu plausibilisieren. Eine durchgängige Aufnahme der TGA würde die Öffnung von beispielsweise allen Unterdecken erfordern. Der dadurch entstehende Aufwand rechtfertigte jedoch nicht den daraus entstehenden Nutzen für die weitere Projektabwicklung. Die Aussage darüber, auf welcher Grundlage ein im Modell platziertes Objekt eingebracht wurde als äußerst wichtig gesehen. Dadurch lässt sich die Herkunft der Informationen und der Bauteile nachvollziehen. Das wird über die nachfolgend aufgeführten Attribute noch deutlicher.

Unter anderen sind die folgenden verwendet worden:

  • Vor Ort überprüft Aufbau und Lage bekannt
  • Vor Ort überprüft Lage bekannt
  • Vor Ort überprüft Aufbau bekannt
  • Vom Plan (CAD o. Papier) Aufbau und Lage bekannt
  • Vom Plan (CAD o. Papier) Lage bekannt
  • Vom Plan (CAD o. Papier) Aufbau bekannt
  • Vom Plan (CAD o. Papier) Aufbau und Lage unbekannt

Bei weiteren wartungs- und instandhaltungsrelevanten Arbeiten im laufenden Betrieb ermöglicht dieses Vorgehen die Verifizierung dieser Attribute und somit des Modells. Die vielseitigen Aussagen, beispielsweise darüber wie viele der vorzufindenden Rohrleitungen noch aktiv sind oder welche Bauelemente definitiv gesichtet und tatsächlich vorhanden sind, verbessern die Aussage der Dokumentation weiter.

Abbildung 3: Aufnahme der Trinkwasserleitung

Die gesehenen Chancen der ausgiebigen Nutzung der modellbasierten Planung und Dokumentation gehen noch weiter. Das Aufnehmen aller Bäume auf dem gesamten Gelände diente der Ableitung des Baumkatasters. Schattenwurf, Sichtverhältnisse oder die Dokumentation darüber, welche Exemplare überhaupt noch vorhanden sind, können hierüber ebenfalls abgebildet werden. Die einzelnen Gebäude des Campus wurden in separate Modelle unterteilt. Demnach existiert ein Modell für jeweils ein Gebäude. In der Summe sind das aktuell 15 Modelle, einschließlich der Umgebungsmodelle und Verbindungsgänge. Das Zusammenfügen (referenzieren) aller Teilmodelle in einem Modell zeigt den Umfang des komplexen Projektes.

Abbildung 4: Übersicht über das gesamte Bestandsmodell

Das Ergebnis war nun qualitativ hinreichend, um eine erste Aussage über den Bestand treffen zu können und erste Schritte in Richtung einer modellbasierten Unterstützung von Betriebsprozessen zu gehen.

FM2BIM – Optimierung des Neubaus

Zur Bereitstellung eines für den funktionalen Betrieb optimiertes Raum- und Funktionsprogramm, wurde in Zusammenarbeit zwischen dem technischen FM und dem Informationsmanagement ein modell- und regelbasiertes Vorgehen umgesetzt. Die benötigten Räume wurden in Ihrer Ausprägung und Anordnung anhand von Prozesswegen und -distanzen, wie z.B. Entfernungen zwischen Patientenzimmer und Aufzug oder zwischen Patientenzimmer und Pflegestützpunkt optimiert. 


Abbildung 5: Regelbasierte Abfragen im Modell

Das Ergebnis war ein optimales, modellbasiertes und auf den Betrieb ausgelegtes Raum- und Funktionsprogramm als Arbeitshilfe und Kommunikationsmittel für die Planungsbeteiligten.

BIM2FM

Das mitunter größte Ziel im Projekt JKB ist die Einbindung der Betriebsprozesse in die modellbasierte Planung und spätere Bewirtschaftung. Die Verwendung der ersten bzw. ursprünglichen modellierten Bestanderfassung, galt dem Einlesen der entstandenen Modelle in die Software Desite MD. Dadurch konnten erste Instandhaltungs- und Wartungsprozesse, wie Tür- und Fensterinspektionen, abgewickelt werden.

Abbildung 6: Anbindung der Modelle biderektional

Die Betrachtung des Flächenmanagements, wie Reinigungsvorgänge und die generelle Flächennutzung, erforderte zunächst die Aufnahme und Verknüpfung mit allen Teilflächen. Für die Reinigungsarbeiten wurden hier beispielsweise alle Glas- und Fassadenflächen verzeichnet. Sämtliche Raumgrundflächen aber auch Außenflächen, wie Rasenflächen, Gehölz, Wege, Straßen und Schneeräumflächen sowie Stellplätze für Kraftfahrzeuge und Fahrradständer flossen in die Dokumentation ein. Was unter anderem dabei herauskam, war die Gegenüberstellung der excelbasierten Reinigungsplanung mit den tatsächlich vorhandenen Räumen. Hierfür war generell eine einheitliche Raumbezeichnung notwendig. Diese wurde angenähert an die DIN 277 und um weitere erforderliche Flächenzuteilungen erweitert.

Abbildung 7: Darstellung eines Reinigungsturnus

Die zugeordneten Flächen wurden nachfolgend entsprechend der Reinigungszyklen innerhalb des Modells farblich markiert und analysiert. Eine Aussage der Auswertung war, dass teilweise Lagerräume mehrmals in der Woche gereinigt werden sollten, was für den Krankenhausbetrieb nicht erforderlich ist. Anschließend sollte die Aufstellung der Flächenanforderungen mit den, vor Ort tatsächlich zu erbringenden, Leistung verbunden werden. Eine weitere Exceltabelle oder eingefärbter Plan mögen vielleicht funktionieren, praktisch sei dies jedoch weniger. Eine Anbringung von Farbpunkten, passend zur Turnusfarbe, an den jeweiligen Raumtüren sollte hier der zielführendste Weg sein. So könnten auch weitere Aufgaben wie das Wasseraufdrehen in Räumen mit seltener Nutzung verbunden werden.

Verifizieren, Simulieren, Managen

Ein anderer interessanter Anwendungsfall, die Verlegung der Dialyse in ein anderes Bestandsgebäude, wurde aus dem Plan heraus generiert.

Abbildung 8: Zusammenführung von Kliniken

Die Herausforderung lag hierbei in der Einschätzung der Nutzung und Auslastung der vorhandenen Kapazität der Aufzüge. Ist diese ausreichend oder nicht? Wie sieht der generelle Betrieb in der Dialysestation aus? Wie viele Patienten kommen wann, bleiben wie lange und müssen wo im Gebäude hin? Die Lösung hierbei wurde über ein Multiagentensystem gefunden. Das Aufnehmen aller bekannten Patientenströme erfolgte durch Befragungen des Krankenhauspersonals sowie der statistischen Erhebung vor Ort. Auf Grundlage des eingelesenen Gebäudemodells konnten so verschiedene Simulationsfälle erstellt und durchgeführt werden.

Abbildung 9: Graphischer Ablauf der Aufzugssimulation

Darin relevant waren die Grundrisse und Aufzüge mit den vorhandenen vertikalen und horizontalen Wegen. Laufgeschwindigkeiten der Patienten und Aufzüge sowie Verhalten, Abmessungen und Wartezeiten aufgrund der Vorgangsabwicklung wurden betrachtet und simuliert. Die Ergebnisse in Form von Videomaterial und Auswertungen aus BI-Tools (Business Intelligence) wurden als Entscheidungsgrundlage verwendet.

Abbildung 10: Simulation und Ermittlung der Aufzugskapazitäten

Das Resultat der Untersuchungen war, dass für die Nutzung des Gebäudes mit der Dialyse im 3. Obergeschoss ein zweiter Aufzug erforderlich sei. Die Überschreitung der Wartezeit pro Person, nach Empfehlung des Arbeitskreises Maschinen- und Elektrotechnik (AMEV) 2017, betrug ca. 300 % bis 400 %. Außerdem wurden Auslastungsspitzen identifiziert und Zeiträume ermittelt, in denen sonstige Transporte durchgeführt werden können. Die dringend benötigten Aufzüge könnten demnach in den Hauptbelastungszeiten weniger durch zweitrangige Transporte beansprucht werden.

Verifizieren, Simulieren, Managen

Eine weitere Verwendung der Modellinformationen fand sich in der virtuellen Begehung der geplanten Anbauten. Hierbei wurde über die Software Enscape und die Anbindung einer VR-Brille, die Planung der Patientenzimmer zusammen mit Mitgliedern des Krankenhausvorstandes oder den leitenden Ärzten begutachtet. Ist die Raumaufteilung sinnhaft? Wie ist die Behaglichkeit der Patienten? Wie sind Materialien, Sanitär- und Einrichtungsobjekte oder die Barrierefreiheit zu beurteilen? Die neuen Blickwinkel und entsprechenden Ergebnisse flossen anschließend in die weitere Planung mit ein.

Abbildung 11: Virtuelle Begehung eines Patientenzimmers

Das lebende, digitale Abbild aus dem Bestand

Rückblickend sind klare Mehrwerte durch den Einsatz der BIM Methode im Projekt JKB zu verzeichnen. Trotz der anfangs unzureichenden Ausgangssituationen konnten bis dato qualitative Entscheidungsgrundlagen erarbeitet werden.

Die vorgestellten Anwendungsfälle, wie die Aufzugssimulation, die Einbindung der Reinigungszyklen oder die gemeinsame virtuelle Begehung mit dem Krankenhauspersonal, haben im Projekt gezeigt, dass die nach Bedarf aufgegriffenen Inhalte eine weiterführende Entscheidungsgrundlage bilden. Ebenfalls zeichnet sich die sinnvolle Verwendung der erstellten Gebäudedokumentation für die Planungs- und Betriebsphase im laufenden Krankenhausbetrieb ab. Denkbar ist es, dass beispielsweise in 30 Jahren der gesamte Bestand einmal angefasst wurde und dass das Bestandmodell vollständig ist. Die Vorteile eines derart „herangezüchteten“ As-Built-Modells werden im Projekt JKB in der aussagekräftigen Bereitstellung von Grundlagen gesehen. Diese können für vielseitige Simulationen, Bewirtschaftungsprozesse oder Umbaumaßnahmen entsprechend verwendet werden. Durch die bedarfsorientierte Herangehensweise entsteht somit Schritt für Schritt ein lebendes, digitales Abbild. Dieses bietet für Verwaltungs- und Dienstleistungsaufgaben sowie zur weiteren Verwendung der Modelle hinsichtlich Umbau und fortführende Planungsmaßnahmen eine optimale Basis.